Die aus dem Iran stammende St. Pöltenerin Manizeh Mohammadzadeh engagiert sich seit vielen Jahren im Sonnenpark. Die Journalistin Maria Prchal hat sie hier getroffen und für die Niederösterreichischen Nachrichten porträtiert.
// Neu in St. Pölten
„Neu sein in St. Pölten“ beschäftigt sich mit Menschen, die nicht in St. Pölten aufgewachsen sind, sondern hier hergezogen sind. Jede Woche treffen wir uns dafür mit Neo-St. Pöltnerinnen und -St. Pöltnern an ihrem Lieblingsort in der Stadt. Bei Manizeh Mohammadzadeh ist das unter zwei ausladenden Bäumen im Sonnenpark im Süden der Stadt. „Als ich in den Süden gezogen bin, habe ich als Erstes den Sonnenpark entdeckt“, erzählt sie. „Der Nussbaum hier erinnert mich an den Garten meines Vaters im Iran. Wir haben so viele Nüsse gehabt, dass wir sie an alle immer weiterverschenkt haben.“ Auch an einen Kirschbaum im Sonnenpark hat sie schöne Erinnerungen: „Ich bin mit dem Kinderwagen hier spazieren gegangen und wir haben die Früchte direkt vom Baum gegessen.“
// Ankommen
Vor über zehn Jahren hat sie den Iran verlassen, zuerst mit ihrer Familie in Puchenstuben gewohnt, dann in der Innenstadt, in der Josefstraße und schließlich in Spratzern. Ihre Tochter war elf, als sie nach Österreich gekommen sind, ihr Sohn wurde hier geboren. Für ihre Tochter war die Umstellung schwierig, zu Hause im Iran hatte sie ihr eigenes Zimmer, in St. Pölten zuerst nicht. „Aber wir haben ihr versprochen, wir suchen uns eine neue Wohnung mit zwei Schlafzimmern.“ Das ist ihnen dann auch geglückt. Mittlerweile hat ihre Tochter eine Lehre gemacht und ist Versicherungskauffrau: „Sie hat alles geschafft, was wir uns für sie gewünscht haben.“
// Mit Paolo Coelho durch den Iran
Manizeh Mohammadzadehs Mann arbeitet jetzt in einer Druckerei, so wie im Iran. Dort hatte er die Bücher des brasilianischen Autors Paulo Coelho verlegt, bis sie durch das Regime verboten wurden. Er begleitete den Schriftsteller auch auf seiner Reise durchs Land.
Von Österreich hat sich die Familie ein besseres Leben erwartet, bessere Möglichkeiten, deswegen der Umzug. „Wir wollten eigentlich nach Wien ziehen, aber die Diakonie hat uns St. Pölten empfohlen. Und wir haben gleich gesehen, es ist eine gute Stadt zum Leben.“ Als sie das erste Mal in den Süden gefahren ist, wollte Mohammadzadeh niemals hier herziehen: „Ich bin versehentlich mit dem 7er-Bus in die falsche Richtung gefahren. Beim Einkaufszentrum Süd dachte ich mir, ich kann niemals hierwohnen, hier ist die Stadt aus.“ Doch nun wohnt sie in Spratzern und fühlt sich voll und ganz zu Hause. „Es ist so grün, die Leute sind nett. Wenn wir auf der Straße unterwegs sind, werden wir die ganze Zeit gegrüßt“, schmunzelt sie.
// Ähnlichkeiten zur Heimat
St. Pölten sei ihrer Heimatstadt im Norden Irans sehr ähnlich: „Wir haben bald gesehen, es gibt gar keinen so großen Unterschied.“ Eine große Umstellung war hingegen die Sprache und es gab doch einige Überraschungen. Etwa war die Familie schockiert darüber, wie arm manche Menschen doch sind in Österreich. Und: „Wir waren überrascht, wie die Menschen Familie leben. In der islamischen Republik haben sie immer schlecht über die Menschen in Europa geredet. Wir haben nicht gedacht, dass hier Familie so wichtig ist, dass die Kinder wichtig sind.“
Als sie das erste Mal eine Großfamilie gesehen hat, hat sie eine Freundin im Iran angerufen, um ihr das zu erzählen: „Und sie hat gesagt: Schau, ob du noch eine findest“, sagt Mohammadzadeh mit einem Lachen. „Wir sind mit einer österreichischen Familie befreundet, sie begleitet uns seit Jahren und sie ist ganz wie eine iranische Familie. Die erwachsenen Kinder kommen zu den Eltern, dort bekommen sie Essen für zu Hause mit. Die Atmosphäre bei dieser Familie ist wie bei uns.“
// Freundschaften entstehen
Diese befreundete Familie Ratteiser hat auch vor einigen Jahren Mohammadzadehs Mutter nach St. Pölten eingeladen. „Ich habe sie unglaublich vermisst. Zwei Jahre später ist sie dann verstorben und ich bin dankbar bis an mein Lebensende, dass ich sie noch einmal sehen durfte.“ Für ihre Mutter war der Umzug nach Österreich schwer zu begreifen: „Sie konnte nichts mit dem Wort ,Flüchtling' anfangen. Sie hat immer gedacht, ich bin nur auf Besuch und werde wiederkommen.“
// Die iranische Mutter zu Besuch
Es habe ihr geholfen, St. Pölten zu sehen und zu verstehen, dass ihre Tochter hier ein ganz normales Leben führt. Mohammadzadeh wird nachdenklich: „Ich habe eine sehr gute Mutter gehabt, sie war eine starke Frau. Sie hat mich gut erzogen, denn ich konnte noch frei denken und entscheiden, obwohl ich als Mädchen in diesem Regime aufgewachsen bin.“
// Der politische Kampf
Manizeh Mohammadzadeh kämpft von Österreich aus immer noch für die Frauen im Iran. Seit dem Tod von Mahsa Amini vor fast genau einem Jahr nimmt sie an Protesten teil und organisiert sie mit. Für ihr Engagement wurde sie zum Weltfrauentag auch von Doris Schmidauer und Bundespräsident Alexander Van der Bellen in die Hofburg eingeladen. „Ich freue mich immer noch unglaublich darüber.“
Am 16. September jährt sich der gewaltvolle Tod der kurdischen Iranerin Amini. Mohammadzadeh wird nach Wien fahren und an einer großen Kundgebung um 15 Uhr vor der iranischen Botschaft teilnehmen. Österreich ist die einzige Heimat, die ihr Sohn kennt, und auch Manizeh Mohammadzadeh fühlt sich hier zu Hause. Doch ihr Herz hängt immer noch an ihren Freundinnen und Freunden, ihrer Familie und der Natur im Iran. Dort zurückkehren würde sie aber erst, wenn das Regime weg ist.
Maria Prchal: Erinnert mich an den Garten meines Vaters. In: NÖN - Niederösterreichische Nachrichten, 2023, Nr. 37, S. 12-13.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Niederösterreichischen Nachrichten.